Die Internationale Raumstation (ISS) macht immer wieder Schlagzeilen - nicht etwa, weil ein Medikament entwickelt werden konnte, das es ohne die Schwerelosigkeit des Weltraum nie gegeben hätte. Keineswegs - wirklich Positives ist von der ISS kaum zu berichten. Milliarden Dollar und Euro hat diese ISS bereits verschlungen, weitere Milliarden werden wohl folgen - wofür wohl? Medizinisch ist sie im Gegensatz zu allen früheren Beteuerungen nutzlos. Mit dieser Ausnahme: Die gefährlichen Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper lassen sich feststellen und analysieren. So konnte der deutsche Astronaut Thomas Reiter, der nach sechs Monaten in der Station kurz vor Weihnachten zur Erde zurückkehrte, die Raumfähre am Landekap in Florida nicht aus eigenen Kräften verlassen - die Beine versagten, er musste heraus getragen werden. Trotz täglichem vierstündigem Sporttrainings an Bord der ISS hatte er wenigstens zehn Prozent seiner Muskeln eingebüßt. Die Amerikaner aber wollen zurück zum Mond und dann weiter zum Mars. Allein unter medizinischen Gesichtspunkten muss gefragt werden, ob die bemannte Raumfahrt überhaupt noch Sinn macht.
Nachdem die sowjetische Raumstation „Mir” ausgedient hatte, wurden 1998 die ersten Bauteile für die ISS auf die Umlaufbahn transportiert. Welche Vorschusslorbeeren wurden damals verteilt - die ISS hätte ein gar nicht hoch genug einzuschätzendes wissenschaftliches Potential. In der Schwerelosigkeit ließen sich ultrareine Kristalle entwickeln, so dass es auf der Erde zu revolutionären industriellen Prozessen kommen könnte, dort oben ließen sich die Voraussetzungen für Medikamente schaffen, mit denen bisher unheilbare Erkrankungen wirksam bekämpft werden könnten.
Pustekuchen - so darf man mit der gleichen Süffisanz sagen, mit der heute noch immer der angebliche wissenschaftliche Wert dieser ISS hochgelobt wird. „Raumstation - wofür eigentlich?”, fragte dagegen am 5. Dezember, als die „Discovery” in Florida startklar gemacht wurde, die „New York Times”. Und selbst US-Wissenschaftler, die vor einem Jahrzehnt noch Feuer und Flamme waren für die von insgesamt 16 Nationen getragene Internationale Raumstation, fragen heute nach dem Sinn dieses Projektes, das den ersten Planungen zufolge bereits 2004 komplettiert sein sollte. Das dürfte nunmehr kaum vor 2010 der Fall sein.
Die NASA „verfolgt kaum noch wissenschaftliche Ziele”, sagte kürzlich David Goldstone, Vorsitzender des parlamentarischen Wissenschaftsausschusses im Washingtoner Abgeordnetenhaus, bei der ISS gehe es der NASA „nur noch darum, den internationalen Partnern entgegen zu kommen”, wozu man ergänzen darf: Um die bei der Stange zu halten, so dass die Gelder weiter fließen. Bei der NASA am Startkap und in Houstons Mission Control wird hinter vorgehaltener Hand in gleicher Weise getuschelt. Offener war da schon die demokratische Senatorin Barbara Mukulsiki, die den NASA-Chef Michael Griffin rundheraus fragte: „Wird die ISS ein Techno-Flop?”
Jedwede NASA-Planungen geben Rätsel auf. Die Flotte der Shuttle soll 2010 stillgelegt werden, aber eine neue Generation von US-Raumschiff wird nicht vor 2014 zur Verfügung stehen. Die ISS könnte in diesen Jahren dann nur mit russischem Gerät angeflogen werden - wenn die Station nicht zuvor völlig aufgegeben wird. Allein finanzielle Gründe könnten dazu zwingen. Denn das NASA-Budget von 16,8 Milliarden Dollar reicht niemals dazu aus, die ISS zu unterhalten und gleichzeitig Expeditionen zum Mond (2020) und zum Mars - so die NASA-Vorhaben - zu realisieren.
Diese Mond-Mars-Planung, von Präsident Bush initiiert, ist in wissenschaftlichen Kreisen der USA sehr umstritten. Zum Mond zurückzukehren und dort eine permanente Station zu errichten, so die Planung, macht wenig Sinn - es sei denn, man will den Mond als Sprungbrett zum Mars benutzen. Das scheint aber mehr Traumtänzerei als Realität zu sein. Die Reise zum Mars - hin und zurück und kurzer Aufenthalt - dauert rund zwei Jahre, und ob das ein Mensch aushält, erscheint allein vom medizinischen Standpunkt aus sehr fraglich. Professor James Pawelczyk, Spezialist für Physiologie und Bewegungstherapien an der Pennsylvania State University, ist äußerst skeptisch: Auf Grund der Erfahrungen mit Astronauten, die sechs Monate in der Schwerelosigkeit zugebracht haben - wie gerade der Deutsche Thomas Reiter -,steht dies fest: Ein Mensch büßt während der Marsreise mehr als 50 Prozent seiner Knochendichte an den Hüften ein - diese Hüften wären nach der Rückkehr zur Erde so zerbrechlich wie ein rohes Ei. So Pawelczyk. Er ist keineswegs nur Theoretiker, er weiß vielmehr, wovon er spricht - er war schließlich selbst Astronaut.
NASA-Chef Griffin, erst im letzte Jahr von Präsident Bush in dieses Amt berufen, ist ebenfalls Skeptiker. Nicht, was die Mond-Mars-Planung betrifft. Aber Shuttle und ISS nimmt er sehr kritisch unter die Lupe, und was er dazu sehr offen und ehrlich sagte, hat der Moral innerhalb seiner Organisation auch nicht gerade gut getan: Als „Fehler” nämlich bezeichnete er die Tatsache, dass sich die USA nach den sechs spektakulären Mondlandungen, die im Grunde genommen dem Deutschen Wernher von Braun zu verdanken sind, ausschließlich auf bemannte Projekte in der niederen Erdumlaufbahn konzentriert hatten. Damit zweifelte er den Wert der Shuttle- und ISS-Projekte an.
Wohin also bemannte Raumfahrt? Noch einmal Mond, von dem mehrere Tonnen totes Gestein in Houston lagern? Mars?
Es gibt mehr Fragen und Bedenken als wirklichen Enthusiasmus.