Ich kann mich noch gut erinnern, in den Kinderjahren der Fußgängerzonen traf man sie praktisch an jeder ihrer vielen Ecken, auf Jahrmärkten und Kirmes-Plätzen gehören sie noch immer zum festen Inventar - Sie verkaufen Wunder, oder machen uns zumindest Glauben, dass es solche gibt und vor allem, dass wir diese dringend zu unserem Glück benötigen. Als fahrende Händler zogen sie einst von Dorf zu Dorf, ihr Bauchladen enthielt manches, was man nicht brauchte, aber so manches, was das karge Leben ein bisschen schöner machte, und natürlich auch einiges, auf das man im Alltag nicht verzichten konnte: Haarspangen, Schleifen, Nähseide, Gürtel, Scheren, Schuhbänder, Kämme, Cremen, wundertätige Heilsäfte und -Tinkturen, grüne und gelbe Pillen für Mensch und Tier, garantiert jede Krankheit kurierend…
In unserer vollelektronischen Welt ist eigentlich für den Beruf des „Markthändlers” kein Platz mehr - wir haben keine Zeit, ihm viertelstundenlang bei der Anpreisung seiner Waren zuzuhören, hasten kopfschüttelnd vorbei und können uns nur wundern über jene Mitmenschen, die faszinierend seinen Ausführungen lauschen, lachen, klatschen, begeistert mit dem Kopf nicken, endlich das Portemonnaie mit dem kargen Inhalt zücken, fast dankbar die unverzichtbare Novität entgegen nehmen. Kein Zweifel, ab sofort würden Haushalt und Küche, oder wo auch sonst immer, von einem neuen, alles leichter machendem Wind durchweht werden. Zusätzlich und völlig kostenlos durfte der staunend lauschende Zuhörer das Kabarett des kleinen Mannes genießen. Denn die Wortakrobaten hatten stets ein Gespür dafür, die Probleme des Alltags mit wenigen, aber treffenden Sätzen auf den Punkt zu bringen. Ob Politik, Liebe, Krankheit oder Tod, für alle Lebenslagen gab und gibt es hin und wieder einen kostenlosen Rat.
Zu dumm nur, dass die Masse des arbeitenden Volkes dafür einfach keine Zeit hat - so manches brisante Problem ließe sich auf diese Weise vielleicht effektiv lösen und vor allem, wie viel mehr Geld könnte man mit dieser Masse an Kunden verdienen! Nun, die Rettung nahte aus dem fernen Westen - Amerika, das Land, das alles besser macht, wusste Rat. Wozu, bitte schön, gibt es schließlich Fernsehen - doch nicht nur zur Unterhaltung oder zum Erfahren von meist ohnehin unerfreulichen Nachrichten. Ungenutzt lag hier ein riesiges Potential jahrelang brach - der Vormittag langweilte die wenigen Seher mit öden Wiederholungen, schulfunküberfrachteten Lehrsendungen oder gar nur einem statischen Sendemast. Das -so befanden die stets innovativen Amerikaner schon vor Jahren, musste schnellstens anders werden. Und so entstand das Teleshopping - der Jahrmarktverkäufer am Fernsehschirm war geboren.
Als die Monopole der staatlichen Bildschirmbeglücker auch in Deutschland endlich zu Ende gingen, schlug die Stunde dieser, mittlerweile einen gigantischen Markt bedienenden, Industrie. Denn, und man erkannte dies sehr schnell, gefrusteten Hausfrauen, sich langweilenden Rentnern oder krankgeschriebenen Angestellten kann man, wenn man es nur richtig anfängt, fast alles verkaufen. Vor allem das, was sie eigentlich gar nicht benötigen. Man muss es nur richtig verpacken und von den richtigen Menschen präsentieren lassen.
Diese, der „Teleshopping abstinenten” Zuseher-Masse mehr oder weniger unbekannten, Präsentator-Moderatoren sind heute längst die wahren Stars der schnelllebigen TV-Welt. Wer will schon Mutter Beimer sehen, wenn er tagsüber z.B. die Chance hat mit Rudi Obermeier (Name fiktiv!), dem Liebling aller Damen jenseits der 50, persönlich „life” zu telefonieren. Frau, was willst Du denn noch mehr- er schäkert mit ihr und die halbe Nation hängt lauschend als Voyeur am Satellit, neidig auf die Glückliche, hoffend, beim nächsten Mal möge man doch bitte selbst zu den Auserwählten gehören.
Ach so, hatten wir bisher vergessen zu erwähnen, dass natürlich nur diejenigen in diesen erlauchten Genuss kommen, die vom schönen Rudi bereits via gebührenpflichtiger Nummer das ultimative vakuumverschließbare Plastikdosen-Set, stapelbar in Küche, Keller oder auf dem Schlafzimmerschrank, den Inhalt selbstredend wochenlang frisch haltend, bis hin zur anschließenden Mumifizierung, zum schlappen Preis von rund 50 Euro erworben haben? Nein, natürlich ist der Preis gerechtfertigt - schließlich hat Frau Kunde sage und schreibe vier Wochen Rückgaberecht und der leicht erhöhte Preis, na hören Sie mal, mindestens 66% des Verdienstes gehen letztlich an den ausstrahlenden Sender und der Hersteller will ja auch noch leben - ganz zu schweigen vom netten Herrn Moderator, der alles, was sich auf diesem Globus verkaufen lässt, charmant plaudernd an die Frau bringt. Ach, Sie fragen jetzt, wie hoch denn nun eigentlich der wahre Wert der Ware zu bemessen sei? Ist doch völlig uninteressant - denn der therapeutische ist mit Geld nicht zu bewerten. Wie, das können Sie nicht verstehen? Also gut, versuchen wir es mit einer Erklärung:
Kundin A, derzeit erziehende Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern und einem noch mit Arbeit ausgestatteten Ehemann, verbringt dank Teleshopping die einst langweiligen Hausfrauenarbeits-Vormittage am Fernsehgerät. Neben dem visuellen Sehvergnügen kann sie nicht nur unterhaltsam und leichthändig ihre Wäsche bügeln- natürlich auf dem verstellbaren Bügelbrett mit digitaler Bügelzone und Rückführkabel, dem ultratitan-beschichtetem Bügeleisen mit eingebautem Wassertank plus Entkalker und Teesieder, der selbstredend vorprogrammierbar jede denkbare Teebrühart per Knopfdruck liefert. All diese technischen Highlights hat sie dank Teleshopping in den letzten Monaten von diesem liebenswürdigen jungen Moderator, der sie so sehr an ihre erste Liebe erinnert, erworben. Der Preis? Spielt keine Rolle, die Ware wird ja frei Haus geliefert und wenn sie nicht gefällt, man kann sie ja sogar gebraucht innerhalb von vier Wochen zurücksenden!
Was würde aber Kundin A an diesem Vormittag tun, gäbe es Teleshopping nicht? Nicht auszudenken -sie würde sich vielleicht im Gärtchen tummeln und die Radieschen prüfen, mit ihren Freundinnen einen Telefonplausch halten, Bügelwäsche Bügelwäsche sein lassen und in die Stadt gehen - und dort natürlich unsinnig Geld ausgeben. Vielleicht würde sie sich ja sogar weiterbilden, um den Anschluss im erlernten Beruf nicht zu verpassen. Ach, es gäbe ja so viele sinnvolle Dinge, die es wert wären, getan zu werden - aber, wer würde sich schon dafür interessieren? Niemand, nicht mal ihrer Ehemann.
Dank Teleshopping kann sie jedoch jeden Abend neues aus der verlockenden Tele-Warenwelt berichten. Und das allerwichtigste: Sie hat es sogar geschafft, eine kleine Berühmtheit zu werden. Denn dank ihres ungebrochenen Kaufrausches, der ihrem Haushalt ausgestattet hat vom selbstreinigendem Toilettentuch über die Knoblauchmühle (garantiert geruchfrei!) bis hin zur vollelektronischen Küchenmaschine mit herausnehmbarer, weltraumerprobter Bratpfanne, für deren Inbetriebnahme dringend ein abgeschlossenes Elektronikstudium ratsam ist, wird sie bei jedem Anruf im Studio sofort zum Moderator durchgestellt - und der behandelt sie so, wie es ihr gebührt: Er begrüßt sie als alte Freundin, plauscht und schäkert mit ihr am Telefon (selbstredend gehen die satten Telefongebühren der 0191-Nummer natürlich auf Rechnung von Frau A), umgurrt sie wie ein radschlagender, balzender Birkhahn im letzten Liebesrausch und versichert ihr vor versammelter Fernsehnation, wie toll es doch sei, sich mit ihr, als alter Bekannter zu unterhalten. So ganz nebenbei verkauft er ihr auch noch die neueste Antifaltencreme, denn, jünger werden wir ja schließlich alle nicht….
Dies alles kann, wie bereits erwähnt, Kundin A des abends Mann und staunenden Kindern berichten und natürlich hat sie auch den Beweis: Schließlich hat der neulich erworbene DVD Player aus Hinterkorea all die schönen Erlebnisse des heutigen Tages in der wundervollen Glitzerwelt des Teleshoppings für alle Familienmitglieder, Freunde und Bekannte sicht- und hörbar aufgezeichnet - Frau, was willst du mehr? Dass der Moderator sich nach der Sendung über „die dusselige Alte, der man alles, aber wirklich auch alles andrehen kann”, schlapp lacht - das wird Frau A Gott sei Dank nie erfahren. Aber alle ihre Freundinnen erfahren neidisch lauschend, mit welcher Berühmtheit sie umgehen dürfen - und dies kann ja wohl so nicht stehen bleiben. Schließlich könnte man doch auch mal diese neue mikrofaserbeschichtete Bettwäsche ausprobieren, oder…?