Die Deutschen sterben aus, die Geburtenrate ist niedrig wie nie: Themen, die in der Öffentlichkeit heiß diskutiert werden. Nicht gesprochen wird dagegen über die etwa 1,7 Millionen Paare in Deutschland, die sich sehnlich ein Kind wünschen, ohne Hilfe der modernen Medizin aber keins bekommen können. „Unfruchtbarkeit gilt nach wie vor als Stigma, ist ein Tabu“, sagt Dr. Petra Thorn vom Verein Wunschkind e. V. In ihm sind die Selbsthilfegruppen für Fragen ungewollter Kinderlosigkeit organisiert, er versteht sich als Informationszentrale für Betroffene. Sie weiß, dass viele dieser Paare sich allein gelassen fühlen: Beratung und Betreuung sind unzureichend, die Vielfalt der Behandlungsmethoden ist verwirrend.
Kompetente Hilfe auf höchstem wissenschaftlichen Niveau verspricht den Paaren die neu gegründete ACT-Initiative Kinderwunsch als Teil der weltweiten Arbeitsgruppe Assisted Conception Taskforce (ACT). „Das ist eine einzigartige internationale Arbeitsgruppe aus Patientenvertretern und medizinischen Kinderwunsch-Experten aus 20 Ländern“, so Dr. med. Thomas Hahn vom Kinderwunschzentrum Wiesbaden. ACT ist im April 2006 in deutscher Sprache in Deutschland und Österreich ins Internet gegangen. Der hochkarätige Verbund bietet u. a. einen umfassenden Ratgeber für Kinderwunsch-Paare an; darin werden mögliche Ursachen sowie die modernen Behandlungsmöglichkeiten Schritt für Schritt erklärt.
Weltweit hofft etwa eines von sechs Paaren aufs Wunschkind. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO spricht man von Sterilität, wenn bei einem Paar im fortpflanzungsfähigen Alter nach einem Jahr ungeschütztem Verkehr keine Schwangerschaft eingetreten ist. Mediziner raten allerdings Frauen über 35, bereits nach einem halben Jahr zum Arzt zu gehen.
Unfruchtbarkeit wird von vielen Frauen und Männern als schlimmste emotionale Krise ihres Lebens beschrieben. Und stürzt sie auch in eine finanzielle, weil der Traum vom Baby für die meisten inzwischen unbezahlbar geworden ist: Im Zuge der Gesundheitsreform haben die gesetzlichen Krankenkassen ihre Leistungen für die – landläufig so genannte – künstliche Befruchtung drastisch eingeschränkt. Bis 2003 wurden Paaren vier Behandlungszyklen genehmigt und finanziert, sie mussten lediglich die übliche Zuzahlung zu Medikamenten selbst tragen. Seit 2004 werden nur noch drei Zyklen zur Hälfte finanziert, die Paare müssen 50 Prozent der ärztlichen und medikamentösen Behandlungskosten selbst bezahlen – da kommen schnell etliche Tausende von Euro zusammen. Und das Alter der potenziellen Eltern wurde rigide eingeschränkt: Frauen dürfen nur 25 bis 40 Jahre alt sein, Männer 25 bis 50 Jahre.
„Die 2.000 Euro für die Behandlung konnten wir uns nur einmal leisten. Deshalb musste es bei uns beim ersten Mal klappen. Der Druck war schier unerträglich“, sagen denn auch Marion und Christian Spreitzer aus Bayern. Bei ihnen war eine ICSI notwendig, eine Intracytoplasmatische Spermieninjektion, weil Marions Eileiter nicht durchgängig sind. Sie wurden vom Schicksal belohnt: Marion wurde tatsächlich schwanger, im November 2005 kam Töchterchen Felizitas zur Welt – kerngesund und wunderschön. „Unser ganzes Glück“, strahlen die Eltern.
Gegen die Einschränkungen der Reproduktionsmedizin will die Initiative vorgehen, auch mit einer Sammelklage (Infos im Internet).
Die Nachfrage nach der assistierten Reproduktion ist seit 2004 um die Hälfte gesunken, vermeldet der Dachverband Reproduktionsbiologie- und –medizin e. V. (DVR). Spezielles Problem: Bei Frauen unter 25 Jahren zahlen die Kassen keinen Euro mehr, aber gerade sie werden von Experten als tickende Zeitbombe betrachtet:
Professor Franz Geisthövel vom DVR: „Es ist ausgesprochen kinder- wie familienfeindlich und kurzsichtig, ungewollt kinderlose Paare finanziell im Regen stehen zu lassen.“ Prognose der Experten: Auf natürlichem Weg Kinder zu bekommen – das wird in Zukunft vielen Paaren noch schwerer fallen als heute.