Autor: Robert Macfarlane
Verlag: Ullstein HC
Seiten: 411
ISBN-10: 3550202504
ISBN-13: 9783550202506
Preis: EUR 29.99
Dieses Buch ist ein poetischer Essay über die Beziehung zwischen Mensch, Natur und Sprache. Robert Macfarlane gehört zu den bekanntesten britischen Nature Writers der Gegenwart. Mit „Sind Flüsse Lebewesen?“ legt er keinen klassischen Naturführer, sondern einen tiefsinnigen Essay vor – eine sprachlich präzise, philosophisch unterfütterte und politisch relevante Reflexion über unser Verhältnis zur Natur, insbesondere zu Flüssen, und darüber, wie Sprache unsere Wahrnehmung der Welt formt.
Das Buch geht von einer ebenso einfachen wie tiefgründigen Frage aus: Können wir Flüsse als Lebewesen betrachten? Was zunächst metaphorisch klingt, entwickelt sich rasch zu einer vielschichtigen Untersuchung von Recht, Ökologie, Mythologie und Ethik. Macfarlane verbindet Naturbeobachtung mit kulturgeschichtlichem Wissen und persönlichen Erlebnissen – und schafft so einen literarischen Essay, der weit über das Thema „Fluss“ hinausreicht.
Im Zentrum steht die Idee der „Rechte der Natur“ – also die juristische und moralische Frage, ob nicht nur Menschen, sondern auch natürliche Systeme wie Flüsse, Wälder oder Gletscher ein Eigenrecht auf Existenz und Unversehrtheit haben. Macfarlane führt Beispiele aus Neuseeland, Indien und Südamerika an, wo einzelnen Flüssen bereits der Status einer Rechtsperson zugesprochen wurde – ein radikaler, aber notwendiger Paradigmenwechsel in Zeiten des ökologischen Kollapses.
Macfarlanes Sprache ist dicht, poetisch und zugleich analytisch. Er versteht es, Naturphänomene nicht nur zu beschreiben, sondern ihnen Stimme und Geschichte zu verleihen. In seinem Essay verschmelzen persönliche Erfahrung, literarische Referenzen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu einem eindrucksvollen Gesamtbild. Besonders auffällig ist seine Wortwahl: Er benutzt seltene Begriffe, archaische Wendungen und erfindet bisweilen neue Sprachbilder, um dem Unsagbaren – etwa der Würde eines Flusses – näherzukommen.
Dabei bleibt sein Ton ruhig, nie belehrend, eher fragend und staunend. Man merkt: Macfarlane ist kein Aktivist im klassischen Sinne, sondern ein Denker, der versucht, eine Sprache für das Unsichtbare und Bedrohte zu finden.
Ein zentrales Motiv ist der Zusammenhang von Sprache und Weltwahrnehmung. Macfarlane argumentiert, dass die Art, wie wir über die Natur sprechen, unsere Beziehung zu ihr formt. Wer den Fluss nur als „Ressource“ bezeichnet, kann ihn leichter verschmutzen oder verbauen. Wer ihn dagegen als Wesen mit eigener Würde sieht, wird ihn schützen wollen.
Damit verbindet sich eine weitere Thematik: die Kritik am westlichen Anthropozentrismus. Das Buch plädiert für eine neue Demut gegenüber der Natur – für ein Denken, das den Menschen nicht als Maß aller Dinge sieht, sondern als Teil eines lebendigen Geflechts, in dem auch nicht-menschliche Wesen Rechte und Geschichten haben.
„Sind Flüsse Lebewesen?“ ist kein leichtes Buch im Sinne schneller Lektüre – es verlangt Aufmerksamkeit und Bereitschaft zur gedanklichen Tiefe. Doch es belohnt mit Einsichten, die lange nachwirken. Es gehört in die Tradition moderner Ökophilosophie (wie bei Robin Wall Kimmerer oder Bruno Latour), lässt sich aber auch literaturgeschichtlich in die Reihe großer Naturbeobachter stellen, von Thoreau über Rachel Carson bis Annie Dillard.
Nicht zuletzt ist es ein politisches Buch. Ohne laut zu werden, wirft es drängende Fragen auf: Wie können wir den Planeten schützen, wenn wir Natur lediglich als „Umwelt“ betrachten – etwas, das außerhalb von uns liegt? Wie können wir eine Ethik entwickeln, die auch Flüsse, Berge und Moore einbezieht?
Robert Macfarlane gelingt mit „Sind Flüsse Lebewesen?“ ein meisterhafter Essay zwischen Poesie, Philosophie und Umweltethik. Das Buch ist ein Plädoyer für eine tiefere Verbindung zur lebendigen Welt – und für eine neue Sprache, in der nicht nur der Mensch, sondern auch der Fluss zu Wort kommt.