Antibiotika sind hochwirksame Medikamente, die bei bakteriellen Infektionen die Erreger bekämpfen und dadurch viele Menschenleben retten. Doch oft werden sie unnötig angewendet. 75 Prozent der Verordnungen entfallen auf Atemwegserkrankungen, die allerdings meistens viralen Ursprungs sind. Bei virusbedingten Infektionen sind Antibiotika jedoch unwirksam. Dieser zu häufige, ungezielte Einsatz der Medikamente begünstigt die Entstehung von Antibiotika-Resistenzen. Dabei werden Bakterien unempfindlich gegen die antibiotischen Wirkstoffe, so dass sich Erreger ungehindert im Körper ausbreiten und schlimmstenfalls zum Tod führen können.
„Erschreckend sind die weiterhin ansteigenden MRSA-Raten, das heißt Anteile der Staphylococcus aureus-Bakterienarten, die auf alle Penicilline, Cephalosporine und andere Betalactam-Antibiotika resistent sind“, warnt Prof. Dr. med. Winfried Kern. Wie der Infektiologe vom Universitätsklinikum Freiburg kürzlich vor Journalisten berichtete, treten solche gefährlichen Erreger nicht nur in Kliniken, sondern inzwischen auch im ambulanten Bereich auf. Die Keime können lebensbedrohliche Lungenentzündungen und Blutvergiftungen auslösen. Ein Problem ist laut Kern zunehmend auch die Rate Fluorchinolon-resistenter Escherichia coli – ein Erreger von Harnwegsinfektionen. Die Behandlung dieser Infektionen wird für die Mediziner aufgrund der Resistenzen immer schwieriger. „Zu einem umsichtigen Antibiotikaeinsatz und nachhaltigen Umgang mit dieser Ressource gibt es keine Alternative“, fordert Kern daher.
Ein Ausweg aus dem Dilemma der steigenden Resistenzraten könnte eine exakte Diagnose mittels eines einfachen Labortests bieten, der bakterielle von viralen Infektionen unterscheidet. Dass sich mit diesem so genannten Procalcitonin-Test unnötige Verordnungen von Antibiotika vermeiden lassen, zeigt eine Studie von Prof. Dr. Beat Müller vom Universitätsspital Basel. In dieser Studie wurden 243 Patienten mit akuten Atemwegserkrankungen entweder aufgrund herkömmlicher diagnostischer Kriterien oder auf der Basis eines Procalcitonin-Tests behandelt. In der Procalcitonin-Gruppe wurden daraufhin nur halb so viel Antibiotika-Verschreibungen vorgenommen wie in der Vergleichsgruppe. Der Therapieerfolg war in beiden Gruppen der gleiche: die Patienten fühlten sich zu einem gleichen Prozentsatz wieder gesund, die Infektionszeichen hatten sich gleichermaßen normalisiert.
„Bakterien produzieren Giftstoffe, die im Rahmen der Entzündungsreaktion den Körper dazu anregen, das Hormon Procalcitonin in höherer Menge zu produzieren als bei viralen Infekten“, erläutert Müller das Prinzip dieses Bluttests. Bei einem stark erhöhten Procalcitoninwert ist deshalb die Einnahme von Antibiotika erforderlich, bei einem niedrigen Wert dagegen nicht.
Eine weitere Studie, die in Kürze publiziert wird, hat laut Darstellung von Müller gezeigt, dass auch die Dauer der Antibiotika-Einnahme mit Hilfe des Procalcitonintests gesenkt werden kann. Auch in der Hausarztpraxis können über 50 Prozent des Antibiotika-Verbrauchs eingespart werden, wenn der Test konsequent zur sicheren Diagnose eingesetzt wird. Darauf deuten erste Analysen einer gerade abgeschlossenen Studie hin, berichtete Müller.
Die Experten halten es daher für sinnvoll, beim Verdacht auf eine Infektion zunächst eine gesicherte Diagnose zu stellen. Denn die dadurch mögliche Einsparung von Antibiotika könnte langfristig auch zu einem Rückgang der Resistenzen führen. Auf diese Weise steigt die Chance, diese unverzichtbaren Medikamente für die Zukunft zu erhalten.