Interview mit Linda Amon
Gcom: Behandlungsfehler am Fließband, Hygienemangel im OP, falsche Medikamente, überlastete Ärzte, verantwortungslose Medizin-Funktionäre ? ist das wirklich so dramatisch?
L.Amon: Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Nach vorsichtigen Schätzungen verlassen jedes Jahr 100.000 Patienten das Krankenhaus in einem schlechteren Zustand als sie es betreten haben -? wenn sie es denn überleben. Andere Zahlen sprechen von bis zu 500.000 Schadensfällen.
Gcom: Wieso Schätzungen? Gibt es keine genauen Zahlen?
L.Amon: Dazu müsste es erst eine Institution geben, bei der die Fäden zusammenlaufen. Ein Amt, das diese Zahlen erhebt, die gemeldeten Fälle unabhängig untersucht und Statistiken erstellt. Aber das wussten die Ärzteverbände bisher erfolgreich zu verhindern.
Gcom: Warum haben die so eine Macht?
L.Amon: Die Ärztekammer hat den Status einer “Körperschaft des öffentlichen Rechts“ und somit Kompetenzen wie eine Behörde, obwohl sie eigentlich nichts anderes als eine Interessensvertretung ist. Sie agiert ohne jegliche Kontrollinstanz. Das ist so, als hätte etwa der Verband der Fleischproduzenten gleichzeitig das Gesundheitsamt unter sich. Da kann man sich leicht vorstellen, was uns für Lebensmittel angeboten würden, wenn Kontrollinstanz und die Zielgruppe der Kontrolle identisch wären.
Gcom: Wodurch passieren denn nun die meisten Fehler ? durch miserable Arbeitszeitregelung für Ärzte?
L.Amon: Erstaunlicherweise ist das nicht die Hauptursache. Offensichtlich sind Ärzte auch nach Mammutarbeitszeiten noch in der Lage, letzte Reserven zu mobilisieren. Die meisten Fehler passieren vielmehr durch Verantwortungslosigkeit, Geldgier oder Kompetenzgerangel innerhalb verkrusteter Hierarchien.
Gcom: Können Sie das genauer erklären?
L.Amon: Wenn Ärzte Eltern gegenüber ein Horrorszenario aufbauen, um einem dreijährigen Kind unter Vollnarkose die Milchzähne sanieren zu können, ist das in den meisten Fällen eine reine Beschäftigungstherapie für Ärzte und pure Geldschneiderei. Denn, berücksichtigt man die Gefahren des Eingriffs, ist die Behandlung absolut überflüssig. Dabei sind schon viele Kinder ums Leben gekommen.
Gcom: Haben Ärzte in so einem Fall keine Angst vor den Konsequenzen?
L.Amon: Welche Konsequenzen? Kein Arzt muss Konsequenzen befürchten? Die Strafverfolgungsbehörden sind nur zu gern bereit, Verfahren schon im Vorfeld einzustellen oder ? sollte es tatsächlich zum Prozess kommen ? lächerlichen Gefälligkeits-Gutachten Glauben zu schenken. Außerdem kann sich der Arzt in den meisten Fällen darauf verlassen, dass eine verschworene Gemeinschaft Beweise verschwinden lässt, Zeugen unter Druck setzt und vor Gericht falsch aussagt. Und selbst, wenn die Beweislage vor Gericht eindeutig ist, kommt er für einen fahrlässigen Tod höchstens mit einer Geldstrafe in fünfstelliger Höhe davon. Und das ist fast das Schlimmste am Thema Ärztepfusch.
Gcom: Ist Ihr Buch nun gegen alle Ärzte gerichtet?
L.Amon: Es ist überhaupt nicht gegen einzelne Ärzte gerichtet ? es sei denn, sie zeichnen sich durch Verantwortungslosigkeit und rücksichtslose Geldgier aus. Mein Buch richtet sich eindeutig gegen die Organisation der Ärzteschaft, die ihre Mitglieder in ein Schema presst, selbst schwerste Verfehlungen unter den Teppich kehrt und lediglich Abweichler vom vorgegebenen Kurs mit drastischen Sanktionen bedenkt. Und es richtet sich gegen die Politiker, die die Bürger nicht vor diesen Machenschaften schützen.
Gcom: Was kann man tun, wenn man Opfer eines Behandlungsfehlers wird?
L.Amon: Da die Situation für die Betroffenen nicht gerade rosig ist, ist meiner Meinung nach Vorbeugung die beste Strategie. Blindes Vertrauen kann tödlich sein, gesundes Misstrauen Leben retten ? das eigene und das von Angehörigen. Hinterfragen Sie Therapien, die Ihnen Ärzte vorschlagen, nehmen Sie die Verantwortung für Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden in die eigenen Hände. Falls dennoch etwas schief läuft, sollte man sich mit einem Patientenverband oder einer Selbsthilfegruppe zusammenschließen, von deren Erfahrungen man profitieren kann. Absolute Tabus: Die Schlichtungsstelle der Ärztekammer anrufen ? wie das ausgeht, kann man sich an zehn Fingern ausrechnen.
Gcom: Frau Amon, wir danken Ihnen für das offene Gespräch und wünschen Ihnen und dem Buch viel Erfolg!
Linda Amon
Ueberreuter Verlag
ISBN: 3800070146
€ 17,95