Wilhelm Heinrich Schüßler (1821 - 1898) war schon zu Lebzeiten umstritten. Sein Interesse an der Heilkunst, v. a. der Homöopathie, erwachte spät und so nahm er das Medizinstudium in Paris, Berlin und Gießen erst im Alter von 31 Jahren auf. Obwohl es über dieses Studium - außer Schüßlers eigenen Aussagen - keinerlei Belege gab, wurde er bereits drei Jahre später von der Universität Gießen zum Doktor ernannt; ohne jemals irgendwelche Leistungsnachweise oder eine Doktorarbeit vorgelegt zu haben. Selbst ein Abiturzeugnis konnte Schüßler nicht nachweisen.
Aus eben diesen Gründen wurde ihm zunächst die Berufserlaubnis als Arzt NICHT erteilt. Erst nachdem er die Abiturprüfung und die medizinische Staatsprüfung nachgeholt hatte, durfte er sich 1858 in Oldenburg offiziell niederlassen. Allerdings musste Schüßler versichern, sich ausschließlich homöopathisch zu betätigen.
Die Homöopathie in ihrer Vielschichtigkeit erschien ihm aber zu kompliziert, so dass Schüßler kurzerhand sein eigenes Konzept entwickelte: 1873 veröffentlichte er sein Werk „Biochemische Heilweise“.
Grundpfeiler von Schüßlers Heilweise sind zwölf Mineralsalze in jeweils zwei Potenzstufen (Verdünnungsstufen). Laut seiner Überzeugung sind die meisten Erkrankungen auf eine Störung des Mineralhaushaltes zurückzuführen. Ein Blick in das Gesicht eines Patienten verrät dem Heilpraktiker, welches der zwölf Salze fehlt (Antlitzanalyse) und er verordnet ihm die passende Potenz. Üblich sind D6- oder D12-Potenzen – das entspricht einer Verdünnung von 1:1 000 000 bzw. 1:1 000 000 000 000. (Der Hauptbestandteil der meist in Tablettenform angebotenen Schüßler-Salze ist Milch- oder Rohrzucker.)
Dass diese hohen Verdünnungen überhaupt eine Wirkung im Körper haben, ist wissenschaftlich nicht haltbar, zumal wir sie in viel höherer Konzentration täglich mit unserer Nahrung einnehmen.
Welches Schüßler-Salz für welches Symptom zu wählen ist, lässt sich in einschlägigen Listen nachschlagen. Dort findet man z. B. für Nr. 2 Calcium Phosphoricum sage und schreibe 520 z. T. recht widersprüchliche Indikationen: Augenringe, Buckel, Freude, Morbus Crohn, schlechte Zähne, Östrogen-Dominanz, Östrogen-Mangel - um nur einige zu nennen.
Bis heute gibt es KEINE anerkannten, wissenschaftlichen Studien über Schüßler-Salze.
Lediglich die Nationalsozialisten, die von Schüßlers Heilweise begeistert waren und im Zuge dessen Laienheiler in den Stand von „Heilpraktikern“ erhoben, führten unter der Leitung des Reichsarztes SS Ernst-Robert Grawitz Experimente in Dachau und Auschwitz durch: Gefangene wurden bewusst mit Sepsis- oder Malariaerregern infiziert.
Die Ergebnis der Experimente waren eindeutig: „Sämtliche Sepsisfälle kamen ad exitum“ 1. Auch gegen Malaria zeigten Schüßler-Salze keine Wirkung. Für die Häftlinge nahmen diese Experimente in den meisten Fällen einen tödlichen Ausgang 2.
In der Nachkriegszeit gerieten Schüßler-Salze in Vergessenheit. Erst in den 1980er Jahren wurden sie im Zuge des wachsenden Interesses an alternativen Heilformen von Heilpraktikern wiederentdeckt. 2012 gab es bereits mehr als 80 „biochemische Vereine“ in Deutschland und weitere im Ausland. Begeisterte Berichte in der Boulevard- und Regenbogenpresse heizen den Boom weiter an.
Schüßler-Salze gelangen nach einem vereinfachten Genehmigungsverfahren („Registrierung“) in den Handel, d. h. sie benötigen keinen Wirksamkeitsnachweis. Nur Qualität und Unbedenklichkeit werden geprüft (AMG §38 2). Aus diesem Grund dürfen auch keine Anwendungsgebiete (Indikationen) auf den Packungen angegeben werden und die Kostenübernahme von den gesetzlichen Krankenkassen gilt als rechtswidrig (§12 SGB V).
Wenn Sie auch jetzt noch von Ihren kleinen Zuckertabletten überzeugt sind, so lassen Sie sich sagen: Falls Sie nicht unter einer Laktose (Milchzucker)-Intoleranz leiden, so schaden Sie Ihrem Körper mit diesen Pillen gewiss nicht - nehmen Sie sie ruhig ein; Ihr Apotheker und Ihre „Selbstheilungskräfte“ danken es Ihnen: Denn dass der Glaube Berge versetzen kann - das glaubt auch die Wissenschaft (Stichwort Placebo-Effekt)!
Nur gehen Sie bei ernsthaften oder länger anhaltenden Beschwerden bitte zu einem Schulmediziner, der Sie fachkundig untersucht und die passenden Medikamente verordnet.