Schon das Datum des „Jahrhundertfundes“ lässt ahnen, dass das Geschehen nicht einfach nur ein Leichenfund sein würde. Mystiker sehen darin den göttlichen Fingerzeig, die reale Wissenschaft hält sich lieber an Fakten. Am 19. 9. 91, einem warmen Herbsttag, fand das Ehepaar Simon aus Nürnberg nahe der Similaunhütte, im Grenzgebiet von Nord- zu Südtirol, eine noch halb im Eis eingeschlossene Mumie. Vermutlich war der seit Tagen wehende warme Sahara-Wind an ihrer Freilegung beteiligt. Er färbte die weißen Gletscher sandbraun und ließ die darunter liegende Schneeschicht abschmelzen. Und legte die Mumie eines Mannes frei, die hier, in über 3000 m Höhe, seit der Kupferzeit nahezu unversehrt überdauert hatte.
Noch heute raufen sich Wissenschaftler aller beteiligten Fakultäten die Haare, wenn sie daran denken, mit welch brachialer Gewalt die vom Hüttenwirt alarmierte Bergrettung bei der Bergung der vermeintlichen Bergsteiger-Leiche vorging. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welch epochalen Fund die Nürnberger Bergwanderer da gemacht hatten. Erst als die Totenkiste mit der gefriergetrockneten Mumie, der man beim Einsargen auch noch den Oberarm gebrochen hatte, in der Innsbrucker Gerichtsmedizin ankam, begann man zu mutmaßen, dass es sich hier doch nicht bloß um einen, möglicherweise jahrhundertealten, Toten handelte. Noch kümmerte es auch niemand, ob der Tote nun Österreicher oder Italiener, Nord- oder Südtiroler war, zumal der Grenzverlauf da oben am Joch sowieso nicht so genau festgelegt war. Doch auch dies sollte sich, mit zunehmender Bedeutung um den Fund, ändern.
Zwanzig Jahre später ist „der Ötzi“ eine weltweite Sensation. Man hat ihn, nach einigen politischen Querelen, nach Bozen ins Museum, mit eigenes dafür errichteter Kältekammer verlegt, einen Film über sein Leben gedreht, im Ötztal mit Hilfe des Instituts für Archäologie der Universität Innsbruck ein naturgetreues Ötzidorf nachgebaut. Im Südtiroler Schnalstal bietet der ebenso besuchenswerte archeoParc, als archäologisches Aktivmuseum, das Gegenstück dazu. In beiden führen engagierte Mitarbeiter die staunenden Besucher zurück in die Welt des Neolithikums vor etwa 5300 Jahren. Man kann in der Überlebensschule Ötztal Feuermachen erlernen und im Schnalstal zusehen, wie aus Kupfererz das Beil des frühen Jägers entstand, oder erlernen, wie der Bogensport einst gehandhabt wurde. Ötzi, die Mumie vom Similaun, gehört heute längst nicht mehr nur der Wissenschaft, sondern der ganzen staunenden Menschheit.
20 Jahre später fasziniert die älteste Eismumie der Welt noch immer. Forscher, allen voran die Professoren Walter Leitner, Albert Zink und Egarter Vigl, geraten stets in helle Aufregung, wenn die entnommenen Gewebeproben neue Erkenntnisse liefern. Der mit etwa 46 Jahren relativ (für seine Zeit) alte Jäger, wurde fraglos auf der Flucht von einem Widersacher mit dem Pfeil (die Spitze wurde erst 2001 in der linken Schulter entdeckt) von hinten erschossen. Eine nicht verheilte Schnittverletzung an der linken Hand, sowie Kratzspuren am Rücken zeigen, dass er etliche Stunden vor seinem Tod in einen Nahkampf mit seinem Verfolger verwickelt gewesen sein musste.
Warum er von Südtirol über die Berge nach Norden floh, kann nur gemutmaßt werden. Seine Ausrüstung lässt aber die Annahme zu, dass er in seiner Heimat, die mit ziemlicher Sicherheit im Eisacktal oder aber im Vintschgau lag, als Schamane tätig war. Vielleicht stand er in dieser Position einem Konkurrenten im Weg, vielleicht ging es um eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Stämmen oder aber auch nur um banale Eifersucht. Wer weiß das heute noch zu sagen?
Ötzi Gesundheitszustand konnte jedoch mit ziemlicher Sicherheit entschlüsselt werden. Für sein Alter durchaus gut trainiert und kräftig, litt er jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit an rheumatischen Beschwerden. Und diese bekämpfte man bereits damals mit einer Frühform der Akupunktur – was Tätowierungen entlang der Schmerzmeridiane noch heute beweisen. Ob er, wie man annimmt, an einer Laktoseintoleranz litt, wird derzeit noch am EURAC- Instituts für Mumien und den Iceman in Bozen erforscht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihn diese Unverträglichkeit quälte, ist jedoch sehr groß.
Der Mann aus dem Eis des Similaungletschers brachte nicht nur umfangreiche neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, er beschäftigt seit seiner Entdeckung auch interpretationsfreudige Esoteriker und Mystiker, regte etliche Vermarkter zu kuriosen Souvenirs an, und trieb auch sonst eine Reihe skuriller Blüten in zahllosen Berichterstattungen. Eine davon wollen wir erwähnen. Es geht dabei um eine antike Tonscheibe, ähnlich jener von Nebra, welche die britischen Raketen-Forscher Hempsell und Bond zu einer abenteuerlichen Theorie veranlasste. Demnach sollte am 29. Juni 3123 (!) vor Christus, also zurzeit, als auch Ötzi lebte, ein Asteroid von gut einem Kilometer Durchmesser auf die Erde gerast sein. Er „…touchierte den Gamskogel bei Längenfeld (im Ötztal, Anm. d. Red.), explodierte, setze ungeheure Kräfte frei und löst den Bergsturz von Köfels aus. Dann schießt ein Feuerball ins Tal…“. So steht es, glauben zumindest die beiden britischen Experten, auf der jahrtausendealten und von ihnen entschlüsselten Tonscheibe aus Ninive. Doch damit nicht genug. Nicht nur das Ötztal wurde dadurch verwüstet, die pilzförmige Explosionswolke wurde „…über das Mittelmeer abgelenkt… und erreicht im nördlichen Ägypten wieder den Boden… Und hier kommt nun die Bibel in Spiel:
Dies, und was die beiden britischen Forscher sonst noch alles herausgefunden und mit Ötzis Tod in Zusammenhang gebracht haben, kann man in ihrem Buch, erhältlich leider nur in englischer Sprache, nachlesen: „A Sumerian Observation of the Köfel’s Impacht Event“ .