Kaum zu glauben: In einer Zeit der Aufklärung über gesundheitliche Vorgänge wie nie zuvor glaubt jeder zweite Bundesbürger, Gesundheit sei Schicksal. „Wenn ich krank werde oder sterbe, so passiert das eben”, so die fatalistische Aussage in der Befragung „Wie gesund lebt Deutschland?” der Deutschen Krankenversicherung (DKV). Die größte Umfrage dieser Art in diesem Jahr wurde jetzt in Berlin vorgestellt, und sie überrascht.
Positiv: Ältere Menschen, also ab fünfzig plus, leben im Durchschnitt am gesündesten. Sie ernähren sich am ausgewogensten, bewegen sich mehr als andere Altersgruppen und mit ihrem zunehmendem Alter hat auch ihr Gesundheitsbewusstsein zugenommen. DKV-Chef Günther Dibbern nennt das „ein ermutigendes Signal”.
Negativ: Die jungen Bundesbürger, vor allem zwischen 18 und 30 Jahren, leben im Durchschnitt am ungesündesten. Sie ernähren sich nicht richtig, viele rauchen und Alkohol wird in erheblichen Mengen konsumiert. Zudem sind sie weniger bewegungsfreudig als gedacht, viele sind vielmehr Bewegungsmuffel. Das sei ein „großes Problem”. Denn die Jungen tun nicht genug, um im Alter nicht krank zu werden. In punkto Vorsorge „braucht Deutschland eine nationale Gesundheitsstrategie”, so DKV-Chef Günther Dibbern.
Überraschend: Frauen und Männer mit Hauptschulabschluss leben im Schnitt gesünder als Akademiker. Bisher wurde genau das Gegenteil angenommen, ein höherer Bildungsgrad galt als Garant für gesündere Lebensführung. Aber Hauptschulabschlussgänger sind zurückhaltender beim Alkohol und meist in Jobs, die körperliche Arbeit voraussetzen, was den Stoffwechsel im Körper positiv beeinflusst. Dagegen treiben Akademiker mehr Sport, aber unterm Strich nicht ausreichend. Mehr noch: Obwohl sich Hauptschul-Absolventen ungesünder ernähren und mehr zur Zigarette greifen als Menschen mit höherem Bildungsgrad, leben sie insgesamt gesünder. 16,5 Prozent erreichen die Spitzenmarke „rundum gesund”, 2,5 Prozent mehr als der bundesweite Durchschnitt.
Länderverteilung: Die meisten gesunden Deutschen leben in Mecklenburg-Vorpommern, einem Flächenland, in dem Menschen häufiger zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren. 19,8 Prozent der Bevölkerung dort sind „rundum gesund”, gefolgt von Niedersachsen (19,5), Sachsen (17,2), Bayern (16,5), Hessen (14,7), Thüringen (13,9), Schleswig-Holstein (13,6), Berlin (12,3), Hamburg und Nordrhein-Westfalen (je 12,0), Baden-Württemberg (11,3), Rheinland-Pfalz, Saarland und Brandenburg (alle 9,4) und dem Schlusslicht Sachsen-Anhalt (7,9). Eine unglaubliche Fallhöhe, die mit vielen Zivilisationskrankheiten (Diabetes, Schlaganfall, Rücken- und Knieproblemen, diversen Krebsarten) verbunden ist. Eindeutig eine Frage des Lebensstils. Fazit: Auf dem Land wird mehr körperlich gearbeitet als in der Stadt, in den neuen Bundesländern mehr als im Westen. Selbst an Berlin lässt sich das genau belegen: Ost-Berliner sind körperlich etwas fitter als West-Berliner.
Seltsam: Frauen leben insgesamt gesünder als Männer. Dennoch schätzen sie ihren Gesundheitszustand schlechter ein. Dabei essen sie weniger Fleisch, dafür mehr Fisch, Obst, Gemüse und Vollkornprodukte. Frauen nehmen mehr Süßigkeiten zu sich, Männer mehr Fleisch und Wurst. Am gefährdetsten sind Menschen in „Currywurstländern” wie NRW und Berlin.
Die Bilanz: Insgesamt nicht optimal. Die Mehrheit der Deutschen, 86 Prozent, leben nicht gesundheitsbewusst. Sie rauchen (25 Prozent) und trinken (18) zuviel, bewegen sich zu wenig (40), ernähren sich einseitig und damit falsch (50) und empfinden ungesunden Stress (50). Mehr als die Hälfte (!) der Deutschen hat Übergewicht, nur US-Amerikaner sind dicker. Die zu vielen Pfunde verschlingen 20 Milliarden Euro zusätzliche Gesundheitskosten.
14 Prozent der Bürger in diesem Land sind kerngesund. Leider liegen keine Vergleichsdaten zu anderen westlichen Ländern vor. Als gesund gelten Menschen, die bei fünf Faktoren gut abschneiden: Ernährung, körperliche Aktivität, Rauchen, Alkohol und Stressempfinden. Werden hier Mindestanforderungen (Benchmarks) erfüllt, bedankt sich der Körper mit messbar erfreulichen Gesundheitswerten.
Doch die Messlatte hängt hoch: Wer raucht oder nicht maßvoll Alkohol konsumiert - und das heißt mehr als ein Glas Bier oder Wein am Tag -, fällt durch. Gesundheitsbewussten entgeht manches, was gemeinhin als Genuss gilt. Wohl deshalb meint ein Drittel der Bevölkerung, wer ständig auf seine Gesundheit achte, habe weniger vom Leben. Und zwei Drittel finden, es werde zu viel über Gesundheit berichtet. Knapp 57 Prozent der Deutschen nämlich halten sich für gesund, obwohl sie es objektiv nicht sein können. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Antworten auf die Frage: Leben Sie gesund? - 10,4 Prozent: lebe sehr gesund - 46,4 Prozent: Lebe gesund - 35,5 Prozent: Lebe mäßig gesund - 7,7 Prozent: Lebe nicht, überhaupt nicht gesund
Quelle: DKV, August 2010