Stets wiederkehrende Bauchkrämpfen, Druckgefühl, Verdauungsproblemen oder dem sogenannten Reizdarmsyndrom, alles bestens bekannt, doch in den meisten Fällen findet man keine Ursachen. Grazer Forscherinnen und Forscher unter der Leitung von Peter Holzer haben in einem soeben abgeschlossenen Projekt des Wissenschaftsfonds FWF untersucht, wie entzündungsbedingter chronischer Bauchschmerz Gehirnfunktion und das soziale Verhalten beeinflusst. Anhand von Tierversuchen konnten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter deutliche Änderungen im Gehirn nachweisen, die sowohl mit dem (Schmerz)-Gedächtnis als auch den Emotionen zusammenhängen.
Dabei hat man sich die beiden Aspekte Schmerzempfindlichkeit und Stress genauer angesehen. Denn Darmentzündungen erhöhen das Schmerzempfinden und haben damit auch Auswirkungen auf das Gehirn, wie die Untersuchungen zeigen. Und dies wirkt sich wiederum auf das soziale Verhalten der Betroffenen aus:innerer Rückzug oder Angststörungen sind die Folgen. Chronischer Bauchschmerz geht, so die Experten, daher oft mit psychiatrischen Erkrankungen einher. Und aus diesem Grund ist es besonders wichtig, diese Begleiterkrankungen mit zu untersuchen. Kommt Stress hinzu, so die Vermutung des Forscherteams, könnte das die Schmerzempfindlichkeit erhöhen. Wie sich zeigte, ist das bei leichtem “vorhersehbarem” Stress nicht der Fall. Die Widerstandsfähigkeit gegen Schmerzreize aus dem Darm wird sogar erhöht, wie der Einfluss der Stresssituation auf die Gehirnfunktion belegt.
Dem komplexen Phänomen des chronischen (Bauch-) Schmerzes auf die Spur zu kommen, gleicht nicht selten einer Detektivarbeit, die oft vom eigentlichen Auslöser weg zu anderen Körperfunktionen führt. Die Forschung versucht daher zusehends, das Zusammenspiel von Körpersystemen zu verstehen. Im Fall des Bauchschmerzes standen bislang die schmerzempfindlichen Nervenfasern im Magen-Darm-Trakt im Vordergrund der Studien. Immerhin durchlaufen insgesamt fünf Nervensysteme den Verdauungstrakt. “Es wurden hier viele Angriffspunkte gefunden und Medikamente entwickelt. Aber in der klinischen Prüfung an Patienten haben sich diese als wenig oder nicht wirksam erwiesen”, erzählt Professor Holzer. “Die Lehre, die wir daraus ziehen mussten: Chronischer Bauchschmerz kommt nicht nur durch Überempfindlichkeit von Nerven im Magen-Darm-Trakt zustande, sondern es muss noch was anderes sein, das näher am Gehirn liegt.”
Wie viele Informationen bei Bauchschmerz tatsächlich vom Darm ins Gehirn fließen, wird zusehends klarer. So belegt das aktuelle FWF-Forschungsprojekt außerdem, dass neben den neuronalen auch hormonelle und immunologische Signalwege von Bedeutung sind. Hinzu kommen die neuesten Forschungen zum Darmmikrobiom, dem Ökosystem des Darms mit seiner Vielzahl an Bakterien. “Das Darmmikrobiom hat Auswirkungen auf alle möglichen Körperfunktionen, auch auf das Gehirn und die Schmerzempfindlichkeit und auch auf die Stimmungslage”, sagt Holzer. Das Team der Medizinischen Universität Graz untersuchte auch ob auch die Zusammensetzung des Darmmikrobioms die Gehirnfunktion beeinflusst. “Für ein umfassendes Verständnis chronischer Schmerzsyndrome ist es wichtig, alle, nicht nur neuronale Informationswege zwischen der Peripherie und dem Gehirn zu berücksichtigen”, betont Holzer. Eine erfolgreiche Therapie chronischer Schmerzen könne nur durch eine Normalisierung der gestörten Gehirnfunktion erzielt werden, ist der Experte überzeugt.