Dem Medikament (Substanz Bevacizumab)gelingt es, das Tumorwachstum und die Absendung von Tochtergeschwülsten (Mediziner sagen Metastasenbildung) zu hemmen.
Bevacizumab gehört in den USA bereits zum Behandlungsstandard kombiniert mit einer Chemotherapie, betonte Prof. Dr. Wolff Schmiegel von der Ruhr-Universität Bochum, auf einer Pressekonferenz in Frankfurt. In Deutschland muss sich diese lebensverlängernde Therapiemaßnahme erst noch durchsetzen: „Nicht zuletzt setzen wir auf den informierten Patienten, der diese Behandlungskombination auch einfordert“, betonte Prof. Dr. Hans-Joachim Schmoll von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Er berichtete weiter, dass die europäische Zulassung des Antikörpers auf den Ergebnissen einer Phase III-Studie von Hurwitz an 813 Patienten mit einem nicht vorbehandeltem, aber schon Tochtergeschwülste gestreuten Darmkrebs (Kolorektalkarzinom), basiert. Diese Patienten erhielten zufällig verteilt zusätzlich zur Therapie mit 5-Fluorouracil (5-FU), Leukovorin (LV) und Irinotecan (IFL-Schema) entweder Bevacizumab (5 mg/kg Körpergewicht alle 2 Wochen) oder ein Scheinmedikament (Placebo).
„Das wichtigste Ergebnis der Studie, nämlich ein Anstieg der mittleren Überlebenszeit um 5 Monate bei Patienten im Avastin-Arm, ist für klinische Untersucher einfach überwältigend“, hob Schmoll hervor. Bei Verabreichung neuer Chemotherapeutika ist eine Überlebensverlängerung um ca. 3 Wochen üblich und bereits sehr eindrucksvoll. Mit Bevacizumabwurde die Überlebenszeit der Patienten also um 30 % verlängert. Die Zeit bis zum Weiterwachsen des Tumors konnte im Mittel sogar um 71 % verlängert werden. „So etwas hat es in der Onkologie noch nicht gegeben“, schloss Schmoll.
Für Patienten mit einem Tochtergeschwülste streuenden Darmkrebs eröffnet der Angiogenese-Hemmer eine deutlich bessere Wirksamkeit der Behandlung und ein längeres Überleben. Patienten der Zulassungsstudie, die Avastin plus 5-FU/FA/Irinotecan zuerst erhielten und danach anschließend eine Oxaliplatin-haltige Chemotherapie bekamen, überlebten im Durchschnitt sogar 25,1 Monate. Das ist eine enorme Steigerung - um mehr als das Doppelte. Vor wenigen Jahren war noch eine durchschnittliche Überlebenszeit von nur 12 Monaten üblich.
Die Nebenwirkungen der Antikörpertherapie selbst sind gering. So kommt es weder zu Knochenmarksschädigungen noch zu Übelkeit, Erbrechen oder Haarausfall. Bei einigen Patienten wurde ein Blutdruckanstieg beobachtet, der aber leicht zu behandeln ist. Im Gegenteil, Bevacizumab „puffert“ sozusagen die Nebenwirkungen der anderen eingesetzten Chemotherapeutika deutlich ab und hat sich als äußerst verträglich erwiesen!
Mit der Substanz hat die Hoffmann-La Roche AG das bisher größte klinische Entwicklungsprogramm in der Onkologie eingeleitet, erläuterte Dr. Wolfgang Dietrich, Leiter der Geschäftseinheit Hämatologie/Onkologie. Weil Bevacizumab das Anwachsen kleinster Tochtergeschwülste verhindert, vermutet man sogar einen Metastasen vorbeugenden Effekt des Medikamentes. Geprüft wird es derzeit auch bei anderen Krebsarten, nämlich noch am Nierenzell-, Bauchspeicheldrüsen- und nicht-kleinzelligem Lungen-Karzinom.
In den letzten Jahren hat sich Darmkrebs in Deutschland zur zweithäufigsten Tumorart bei Männern und Frauen entwickelt — Tendenz steigend. Jährlich werden über 66.000 Menschen mit dieser Diagnose konfrontiert. Das Fatale: Etwa die Hälfte der Patienten stirbt an den Folgen der Erkrankung. Oft wird die Krankheit erst in einem Stadium entdeckt, wenn der Krebs schon weit fortgeschritten ist und Tochtergeschwülste gestreut hat. Dann gilt er als nicht mehr heilbar. In diesen Fällen ist das Ziel der Behandlung nur noch die Lebensverlängerung bei möglichst wenig Schmerzen und guter Lebensqualität.
Das eröffnete die Möglichkeit, neue, speziell gegen diese Tumorcharakteristika “maßgeschneiderte” Medikamente zu entwickeln. Von besonderem Interesse ist dabei die von der Krebsgeschwulst selbst ausgelöste Neubildung von Blutgefäßen. Dieser als Tumor-Angiogenese bezeichnete Vorgang wird von Experten als eine entscheidende Voraussetzung für das Weiterwachsen des Tumors und die Bildung von Tochtergeschwülsten angesehen. Die Schlüsselrolle spielt dabei der Wachstumsfaktor VEGF (engl. = Vascular Endothelial Growth Factor).
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis erschien die medikamentöse Hemmung von VEGF, die so genannte Anti-Angiogenese, ein sinnvolles Konzept einer neuen, zielgerichteten Krebstherapie zu sein. Diese Gefäßblocker oder Angiogenese-Hemmer verhindern die Bildung neuer Blutgefäße im Tumor und seiner Umgebung: Seine Versorgung mit lebenswichtigem Sauerstoff und Nährstoffen wird damit gestoppt und dadurch das Wachstum der Krebszellen gehemmt. Der Tumor wird regelrecht “ausgehungert.”