Mal ehrlich: Achten Sie bei der Einnahme Ihrer Tabletten wirklich penibel auf die Uhrzeit? Oder sind Sie im Alltagsstress oft einfach froh, wenn Sie überhaupt daran gedacht haben? Damit sind Sie nicht allein. Viele Patienten denken: „Hauptsache eingenommen, den Rest regelt der Körper schon.“
Doch ganz so einfach ist es leider nicht. Mediziner wissen heute: Das Timing ist oft genauso wichtig wie der Wirkstoff selbst. Unser Körper arbeitet nämlich nicht rund um die Uhr gleichförmig vor sich hin. Er gleicht eher einem komplexen Schichtbetrieb mit strengen Arbeitszeiten. Wer diesen Rhythmus ignoriert, verschenkt im besten Fall Wirkung – oder riskiert im schlimmsten Fall unnötige Nebenwirkungen.
Wir zeigen Ihnen, was die sogenannte Chronopharmakologie ist und zu welcher Tageszeit Blutdrucksenker, Statine & Co. ihren Job am besten erledigen.
Hinter dem sperrigen Begriff Chronopharmakologie verbirgt sich eigentlich ein ganz logisches Prinzip: Es ist die Lehre davon, wie unsere innere Uhr die Wirkung von Arzneien beeinflusst.
Denn unser Organismus macht nie Pause, aber er schaltet ständig um. Dieser sogenannte zirkadiane Rhythmus (unser Tag-Nacht-Takt) steuert fast alles, was in uns passiert – oft stärker, als wir vermuten:
Ein Medikament trifft also niemals auf einen gleichbleibenden Zustand. Nehmen Sie ein Präparat zur “falschen” Zeit, kann es sein, dass es zu schnell abgebaut wird, die Zielrezeptoren gerade “schlafen” oder das Medikament den natürlichen Rhythmus stört. Besonders bei Cortison, Betablockern oder Asthmamedikamenten ist das Timing daher oft genauso wichtig wie die Dosis selbst.
Ein wichtiger Hinweis vorab: Medizin ist Maßarbeit. Die folgenden Tipps spiegeln den aktuellen Stand der Wissenschaft wider, ersetzen aber keinesfalls das Gespräch mit Ihrer Praxis. Wenn Ihr Arzt Ihnen ausdrücklich eine andere Einnahmezeit verordnet hat, hat das sicher einen individuellen Grund – halten Sie sich in diesem Fall bitte immer an das Rezept!
Idealer Zeitpunkt: Meistens abends.
Der Grund: Lange Zeit war die Einnahme am Morgen Standard, doch das Blatt hat sich gewendet. Der Hintergrund ist spannend: Bei gesunden Menschen sinkt der Blutdruck im Schlaf automatisch ab, um dem Körper Ruhe zu gönnen (das sogenannte „Dipping“). Bei vielen Menschen mit Bluthochdruck fällt dieser natürliche Erholungs-Mechanismus jedoch aus – der Druck bleibt nachts gefährlich hoch, was Herz und Gefäße enorm belastet.
Nehmen Sie Ihren Blutdrucksenker abends ein, wirkt er genau in dieser kritischen Phase. Er hilft, die wichtige nächtliche Absenkung wiederherzustellen. Das kann das Risiko für Schlaganfälle oder Herzinfarkte oft effektiver senken als die Tablette am Morgen.
Idealer Zeitpunkt: Abends – passend zur „Nachtschicht“ der Leber.
Der Grund: Cholesterinsenker sind das klassische Beispiel für Chronopharmakologie. „Unsere Leber ist ein echter Nachtarbeiter: Sie fährt die Produktion von Cholesterin erst hoch, während wir schlafen. Nehmen Sie Ihr Statin am Abend ein, ist der Wirkstoff also genau zum richtigen Zeitpunkt zur Stelle – nämlich dann, wenn die Leber auf Hochtouren läuft.“ Das Medikament trifft direkt auf seinen „Gegenspieler“ und kann das zuständige Enzym maximal ausbremsen. Bei modernen Langzeit-Statinen ist dieser Effekt zwar weniger stark ausgeprägt, die Abend-Regel ist aber auch hier oft noch gängige Praxis.
Idealer Zeitpunkt: 30 bis 60 Minuten vor dem ersten Frühstück.
Der Grund: Diese Medikamente müssen erst im Dünndarm aufgenommen werden, um dann über das Blut zu den Belegzellen des Magens zu gelangen. Dort blockieren sie die Säureproduktion. Da die Säurepumpen durch Nahrungsaufnahme aktiviert werden, muss der Wirkstoff bereitstehen, bevor Sie essen.
Idealer Zeitpunkt: Zu den Mahlzeiten (tendenziell morgens/tagsüber).
Der Grund: Hier geht es vor allem um den Selbstschutz. Diese Medikamente (NSAR) greifen die Magenschleimhaut an. Die Einnahme mit Nahrung puffert diesen Effekt ab. Zudem ist die Schmerzwahrnehmung und Steifheit bei Erkrankungen wie Rheuma oft morgens am stärksten (“Morgensteifigkeit”), weshalb ein früher Wirkspiegel hilfreich ist.
Idealer Zeitpunkt: Sofort nach dem Aufstehen – und nur mit Wasser.
Der Grund: L-Thyroxin ist eine echte „Diva“ unter den Medikamenten. Der Wirkstoff ist extrem bindungsfreudig und klammert sich im Magen sofort an alles, was er finden kann – seien es Nahrungsreste, das Kalzium in der Milch oder Inhaltsstoffe im Kaffee. Passiert das, gelangt das Hormon nicht ins Blut, sondern wird wirkungslos wieder ausgeschieden.
Damit die Tablette wirkt, braucht sie freie Bahn. Nehmen Sie sie daher direkt nach dem Aufwachen mit einem großen Schluck Leitungswasser ein. Und auch wenn es schwerfällt: Warten Sie danach mindestens 30 Minuten, bevor Sie frühstücken oder den ersten Kaffee (auch schwarz!) trinken. Nur so kann Ihr Körper die volle Dosis aufnehmen.
Idealer Zeitpunkt: Abends.
Der Grund: Der Histaminspiegel steigt im Körper oft in den frühen Morgenstunden an – genau dann, wenn Allergiker mit Niesreizen aufwachen. Eine Einnahme am Vorabend sorgt dafür, dass der Wirkstoff morgens bereits aktiv ist. Positiver Nebeneffekt: Die häufige Nebenwirkung “Müdigkeit” wird einfach verschlafen.
Idealer Zeitpunkt: Früh morgens (zwischen 6:00 und 8:00 Uhr).
Der Grund: Der Körper produziert sein eigenes Cortisol in den frühen Morgenstunden. Führt man Cortison zu dieser Zeit als Medikament zu, imitiert man den natürlichen Rhythmus. Dies verringert das Risiko, dass die körpereigene Produktion durcheinandergerät oder eingestellt wird.
Neben der richtigen Uhrzeit ist die Regelmäßigkeit oft noch wichtiger. Viele Medikamente benötigen einen konstanten “Wirkspiegel” im Blut, um zu funktionieren. Das gilt besonders für:
Hier sollten Sie versuchen, das Zeitfenster von 24 Stunden möglichst genau einzuhalten, um Wirkungslücken zu vermeiden.
Damit die Einnahme nicht zur Wissenschaft wird, helfen einfache Routinen:
Ein Blick auf die Uhr lohnt sich. Ob wir ein Medikament morgens oder abends einnehmen, kann darüber entscheiden, wie gut es uns hilft und wie gut wir es vertragen. Wir empfehlen: Gehen Sie Ihre Dauermedikamente beim nächsten Besuch einmal gemeinsam mit Ihrem Arzt oder Apotheker durch und fragen Sie gezielt nach dem optimalen Zeitpunkt. Ihr Körper wird es Ihnen danken.